Historische Wassermühlen als Kleinkraftwerke
„Eine Birne, ganz aus Glas und größer als an unserem  Birnbaum ......"

Die Wassermühle Wieren (Nr. 52 der NMS) - im Jahre 1900 begann mit dem „Lichtwunder in der Wierener Mühle" die Elektrifizierung in den ländlichen Regionen um Uelzen.

Es waren zwei Erfindungen von großer Tragweite, die eine Entwicklung in Gang setzten, mit der die Nutzung der Naturkraft Wasser zu vielfältigen, bis dahin ungeahnten Anwendungsformen geführt wurde. Leonardo da Vinci skizzierte bereits im 15. Jahrhundert das Prinzip einer Wasserturbine - ein „Wasserrad in einem Gehäuse". Eine Idee, bei der zweifellos auch die „Stock - mühle" genannten Horizontalwasserräder des 14. und 15. Jahrhundert Pate standen. Jedoch erst etwa 400 Jahre später konnte der Franzose Bourdin im Jahre 1826  mit dem Bau der ersten Wasserturbine Leonardo´s Idee zur technischen Anwendung bringen. - Die größere Leistungsfähigkeit der Wasserturbine veranlasste viele Mühlenbesitzer im letzten Drittel des 19. Jhdt. den Wasserradantrieb ihrer Mühle gegen den moderneren und betriebssicheren Turbinenantrieb auszutauschen, um so eine Leistungssteigerung ihrer Mahlbetriebe zu erreichen. - 1866 erfand Werner von Siemens den Generator, mit dem die mechanische Energie der Wasserturbine in elektrischen Strom umgewandelt werden konnte. Es lag nahe, die Antriebskräfte von Wasserturbinen in umgerüsteten Wassermühlen nunmehr auch zur Erzeugung elektrischen Stromes, anfangs nur als „Lichtstrom" zu Beleuchtungszwecken später auch zum Antrieb der Mahlwerke und anderer Produktionsgeräte zu nutzen. - In der Wassermühle Wieren, Ldk. Uelzen, hatte der fortschrittliche Müller Friedrich Schulz im Jahre 1900 das Wasserrad seiner Mühle durch zwei Turbinen mit 10 PS für ein Sägewerk und 24 PS für die Mahlmühle ersetzt und gleichzeitig einen Gleichstromgenerator in Betrieb genommen. Mit dem erzeugten Strom beleuchtete Friedrich Schulz sein Mühlenanwesen. Die begeisterten und staunenden Einwohner Wierens wanderten allabendlich zu der „Lichtschau" an der Mühle und priesen die technische Errungenschaft als das „Lichtwunder von Wieren". - Nun war die neue Zeit endlich auch in der Provinz angekommen. Ein Zeitzeuge schilderte  seine Jugenderinnerungen:

„Eine Birne, ganz aus Glas und größer als an unserem  Birnbaum, hing da an einem mit Stoff umwickelten Draht. In der Birne glühte ein kleiner Faden so hell, daß man im Zimmer alles erkennen konnte. Wir Jungen wollten das Wunderstück anfassen, doch Mühlen - Schulz wehrte ab: „Dann geht sie kaputt" - „Wie kommt das?" fragte einer von uns Kindern. Schulz führte uns zu einem großen Eisenkasten, ganz laut summte es darin. „ Das ist ein Lichtmotor, ein Dynamo" erklärte uns Schulz. Wir verstanden nichts davon, wir staunten nur".

Der Generator, Bj. 1899 von AEG, mit Schaltanlage stammt aus der Wassermühle Bollensen und lieferte noch bis 1977 (!) 65 V Gleichstrom. Er steht heute im Handwerksmuseum Suhlendorf im Landkreis Uelzen.

Der Müller Friedrich Schulze war ein weitsichtiger Mann mit unternehmerischen Drang. Mit der Firma Thun aus Cottbus gründete er die „Schulze u.Thun Elektrizitätsgesellschaft m.b.H" mit dem Ziel, ganz Wieren und den Nachbarort Drohe mit Strom zu versorgen. Dazu sicherte er sich das alleinige Recht, in den beiden Orten Freileitungen zu verlegen und 1909 begann die neu gegründete Gesellschaft mit dem Bau eines Elektrizitätswerkes neben der Mühle, das 1910 seinen Betrieb aufnahm. Ein Jahr später waren alle Häuser in Wieren und Drohe mit 220 V Gleichstrom versorgt. Der Bedarf war jedoch noch bescheiden, nur in wenigen Zimmern hingen 25 W-Glühbirnen und nach alter Gewohnheit hielt man an der lichtlosen „Dämmerstunde" fest, um sich von der Mühsal des Tages zu erholen. Mit dem zunehmenden Einsatz der Elektrizität für den Antrieb von Kraftmaschinen wuchs jedoch der Strombedarf rasch an und bereits 1929 löste sich der Nachbarort Drohe vom Wierener E-Werk und wurde fortan von der „Überlandzentrale Uelzen" versorgt, die 1943 auch das Wierener Werk übernahm. Als 1950 die Umstellung auf ein Wechselstromnetz vollzogen war, wurde das unrentabel gewordene Wierener E-Werk des Müllermeisters Friedrich Schulze endgültig stillgelegt. Nur in der Mühle lief der Gleichstromgenerator noch bis 1960 zur Eigenversorgung und 1964 wurde der Betrieb der Wierener Wassermühle gänzlich eingestellt.

Quellen: Walter Schröder: Die Mühle und das Elektrizitätswerk in Wieren                       ( Das Thema wird in der nächsten Ausgabe fortgesetzt)
              aus „Der Heidewanderer" -  68.Jahrgang - Nr.36