Die Weiterführung der
Niedersächsischen Mühlenstrasse
- Eine kritische Rückschau -
von Heinz Thiemann

Was war das damals, im Frühjahr 1998, für eine Aufregung. Anfang des Jahres und kurz vor der feierlichen Eröffnung einer Mühlenroute, die der Mühlenförderverein Lüneburg e.V. eingerichtet hatte, war bekannt geworden, welchen Namen diese erhalten sollte. Die 650 km lange Strecke im nordöstlichen Niedersachsen, die die Kreise Celle, Uelzen, Lüchow-Dannenberg und Lüneburg durchquert und 75 Mühlen verbindet, sollte doch tatsächlich unter dem Titel „Die Niedersächsische Mühlenstrasse" eröffnet werden und als Krönung dieser Anmaßung sollte die Bardowicker Windmühle, an der die Eröffnungszeremonie geplant war, die Nr.1 dieser Mühlenroute sein. - Ein unvorstellbares Szenario für die alteingesessenen Platzhirschen der niedersächsischen Mühlenlandschaft ! So kam es denn, daß Karl-Heinz Funke, damals noch niedersächsischer Landwirtschaftsminister, der am Pfingstmontag 1998 zum obligatorischen Eröffnungsscherenschnitt nach Bardowick angereist war, beim Mittagessen in der Domschänke zu Bardowick der Regierungspräsidentin, Frau Ulrike Wolff-Gebhardt, sein Unverständnis für diese Namenswahl vortrug. Er war kurz vor Reiseantritt noch hastig von  Kritikastern „eingenordet" worden. Erst als ihm die Regierungspräsidentin klarmachte, dass diese Route als der erste Teilabschnitt einer das gesamte Landesgebiet umfassenden Mühlenstrasse zu verstehen sei, milderte sich der Unwillen des Ministers deutlich. In seiner Eröffnungsrede brachte er gar seine Zustimmung zum Ausdruck, indem er die Erweiterung ausdrücklich forderte. Eine Haltung, die der Minister später beim gemütlichen Umtrunk auf dem Absackboden der Bardowicker Mühle, sichtlich gelöst, noch verfeinerte. - Soweit die Vorgeschichte. - Die Vorgaben des Mühlenförderverein Lüneburg e.V. für eine Erweiterung der Mühlenstrasse waren beachtlich:

  • Bereits 1997 gibt es Kontakte mit einer gleichartigen Planung im Raume Harz / Braunschweig unter dessen Initiator Philipp Oppermann, um die Mühlenlandschaften Braunschweig und Lüneburg zu verbinden. Diese Option hat nach wie vor erstrangige Priorität.
  • Acht benachbarte Landkreise von Gifhorn bis Cuxhaven bekundeten starkes Interesse an einer Anbindung. Am 9.09.1998 findet in Bardowick ein erstes  Kontaktgespräch statt.
  • Am 11.09.98 erklärt der Vorstand der Mühlenvereinigung Niedersachsen / Bremen - einst skeptischer bis schroffer Gegner der NMS - seine Bereitschaft, die Trägerschaft und damit die weitere Initiative zur Erweiterung der NMS zu übernehmen. Am 10.02.1999 werden die Kontakte mit den interessierten Landkreisen in einem Gespräch beim Landkreis Soltau-Fallingbostel weitergeführt und vertieft.
  • Die Bezirksregierung Lüneburg stellt europäische Fördermittel in Höhe von über 300.000,- DM zur Finanzierung der Fortführung der NMS bereit.
  • Der Mühlenförderverein Lüneburg e.V. bietet der Mühlenvereinigung Niedersachsen / Bremen beratende Kooperation zur Erweiterung der NMS an.
  • Der Kreis Harburg als einer der interessierten Landkreise wird an das Vereinsgebiet des MFV Lüneburg e.V. und damit an die NMS angeschlossen.
  • In der Roten Mappe 1999 des Niedersächsischen Heimatbundes wird die NMS als ein bisher einmaliges kulturhistorisches Projekt bezeichnet. Die geplante Erweiterung unter der Trägerschaft der Mühlenvereinigung Niedersachsen / Bremen wird betont. -  Die Nds. Landesregierung begrüßt ausdrücklich dieses Projekt und sieht in diesem Vorhaben Bestrebungen zu langfristiger Erhaltung der Mühlen in Niedersachsen.
  • Die Veröffentlichungen über die  Aktion „Niedersächsische Mühlenstrasse" in den Medien der Europäischen Union, zuletzt im Nachrichtenblatt des LEADER II -Programms der Europäischen Kommission - Nr. 84 / Januar 2001, verleihen dem Projekt einen beispielhaften Modellcharakter mit europaweiten Wirkungen.

Das Ergebnis:  Es gibt bis heute nicht die geringsten Anzeichen für auch nur einen winzigen Schritt zur Erweiterung der Niedersächsischen Mühlenstrasse, außer der Anbindung des Kreises Harburg durch den MFV Lüneburg e.V. Die bereitgestellten europäischen Fördermittel sind verfallen, das Interesse niedersächsischer Landkreise ist erlahmt !

Das Fazit: Es ist nicht gelungen, den Elan des jungen Mühlenförderverein Lüneburg e.V., der in der kurzen Zeit seines Bestehens für die Kulturlandschaft der Mühlen im nordöstlichen Niedersachsen Beachtliches leisten konnte, auf die altehrwürdigen Strukturen des ältesten Mühlenvereins Deutschlands, der Mühlenvereinigung Niedersachsen / Bremen, zu übertragen. Diese Vereinigung hat sich, aus welchen Gründen auch immer, außerstande gezeigt, moderne Wege zur Erhaltung des Kulturgutes „Mühle" zu erkennen und zu beschreiten. - Eine höchst enttäuschende Erkenntnis zum Nachteil niedersächsischer Mühlen ! - Um das gesetzte Ziel einer landesweiten Niedersächsischen Mühlenstraße zu erreichen und damit das zweifelsfrei vorhandene Potential europäischer Förderung auf die Mühlen unseres Landes zu lenken, müssen Lösungen außerhalb bisheriger Sackgassen gesucht werden.  Es ist zu wünschen, dass für zukünftige Bemühungen um die Erhaltung der Mühlen in Niedersachsen Goethes Maxime aus Wilhelm Meisters Wanderjahre eine gesteigerte Beachtung erfahren möge:


Es ist nicht genug zu wissen, man muß es auch anwenden;
es ist nicht genug zu wollen, man muß es auch tun.

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