Flügeltechnik an Windmühlen
Das Ten-Have-Wieksystem an der Windmühle Bardowick
von Richard Brüdern

Windmühle Bardowick v. 1813
Ten-Have Klappen mit Fokwieken und Remklappen

Die konventionelle europäische Windmühle war ursprünglich mit Segelflügeln oder vereinzelt mit Türenzeug ausgerüstet. Der große Nachteil dieser aerodynamisch akzeptalen Lösung liegt darin, dass die Mühle zur Besegelung viermal angehalten werden muß, um jeden einzelnen Flügel in senkrechter Stellung bedienen zu können. Es hat daher nicht an Versuchen gefehlt, diesen arbeitsaufwendigen Nachteil durch bedienungsfreundliche Konstruktionen zu ersetzen. - Größte Verbreitung haben die schon 1772 in England von Andrew Meikle erfundenen Jalousieklappen gefunden. Nachteilig ist, dass das System aus einer Vielzahl von beweglichen Einzelteilen zusammengesetzt ist und außerdem beim Öffnen zwar die Angriffsfläche für den Wind reduziert, das auftriebserzeugende Profil des Flügels jedoch beibehalten wird. Die Mühle muß daher in jedem Falle mit einer zuverlässigen Bremse ausgerüstet sein.
Inspiriert durch Erkenntnisse am Tragflügel des Flugzeugs ( der Mühlenflügel und die Flugzeugtragfläche wirken beide nach dem Prinzip des Auftriebes ) hat der Ingenieur und ehemalige Fliegeroffizier Kurt Bilau in der Zeit von 1920 - 1924 zwei gravierende Neuerungen eingeführt:
      
     1.    Das aerodynamisch besser profilierte Vorheck, bekannt geworden als                  “Ventikante” und
     2.    das um eine Längsachse drehende Hinterheck, bekannt geworden als                  “Drehheck”.

Damit war ein Flügelsystem entstanden, das infolge wesentlicher Verringerung der Strömungsverluste eine bessere Leistung bei höherer Schnellläufigkeit erzielte. Mit dem Drehheck ließ sich das auftriebserzeugende Profil zerstören, so dass die Mühle auch bei höchster Windgeschwindigkeit ohne Bremse zum Stillstand kommt. Die Flügelkonstruktionen nach Bilau hatten nur einen Nachteil - sie waren schwer und teuer.
In Holland wurden in den folgenden Jahren vergleichbare Konstruktionen entwickelt, die für das Vorheck unter dem Namen “Dekker Profil”, “van Bussel” oder “Fokwiek” bekannt wurden. Mit Konstruktionen nach dem Prinzip des Drehhecks haben sich um 1934 -1940 die beiden Mühlenbauer van Riet und Ten Have befaßt, wobei Ten Have einen Kompromiß zwischen traditionellem Flügelbau und dem modernen Drehheck gesucht hat. Der Ten Have Flügel besitzt noch fünf Heckscheite mit je einer Saumlatte an der Rute und eine weitere Saumlatte als äußere Begrenzung. Dadurch ist ein verwindungssteifer Rahmen entstanden. Dazwischen liegen vier Ten Have Klappen. Somit reduzieren sich bei diesem Flügelsystem die ca. zwanzig Klappen mit je zwei Lagerungen des konventionellen Jalousieflügels auf nur vier Klappen mit gemeinsamer Achse und nur fünf Lagerstellen auf den Heckscheiten. - Neben den heute von der holländischen Mühlenbaufirma Groot Wesseldijk gebauten Ten Have Klappen wird dieses System auch von der holländischen Firma Beckert angeboten mit dem einzigen Unterschied, dass hier die Drehachse der Klappen auf der Vorderseite der Flügel liegt, was zu einer glatteren Oberfläche der strömungstechnisch wichtigeren Rückseite beiträgt. Bei Groot Wesseldijk liegt die Achse auf der Rückseite, der optische Eindruck der Flügel wird dadurch wesentlich verbessert. - Beide Systeme haben sich in der Praxis bewährt und bei geringerer Wartung zu einer besseren Betriebssicherheit geführt. Diese Vorteile haben bei der Reaktivierung der gewerblich genutzten Windmühle Bardowick den Ausschlag gegeben, Ten Have Klappen in Verbindung mit sog. Fokwieken als Vorheck erstmalig in Deutschland einzusetzen. Nach nunmehr 7-jähriger Betriebszeit hat dieses System auch an der Bardowicker Windmühle seine Bewährungsprobe bestens bestanden.

Bilddokumentation

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Der KleiekotzerEin Magazin des Mühlenförderverein Lüneburg e.V.