Mühlenkultur in Holland
von Richard Brüdern 
 (Fortsetzung Teil II)

Wenn auch die Prinzipien des Windmühlenbaus von Holland zu uns gekommen sind, so haben deutsche Handwerker vor allem im Norden des Landes gleichwertige Mühlen gebaut. Trotzdem haben holländische Mühlenbauer in Deutschland stets einen guten Ruf genossen; angefangen beim erwähnten Beispiel der Bedeichung der Wilstermarsch über die von Holländern erbauten ersten Turmwindmühlen in Deutschland bis in die Gegenwart. Der Mühlenkreis Minden-Lübbecke nutzt z. B. seit Jahren für Reaktivierungen des Flügelkreuzes holländische Stahlruten.

Nach dem holländischen Hersteller Potruten genannt, wurden bereits um die Jahrhundertwende über 1000 Flügelkreuze mit diesen genieteten Kastenprofilen ausgerüstet, die in ihrem äußeren Erscheinungsbild der ursprünglichen Holzkonstruktion weitgehend entsprechen.

Während deutsche Denkmalschützer bei Reparaturen oftmals auf Originalität des verwendeten Werkstoffes bestehen, wurden im pragmatischen Holland speziell von den Denkmalschutzbehörden, dem „Rijksdienst voor de Monumentenzorg“, Richtlinien für die Fertigung von heute geschweißten Stahlruten herausgegeben. Dadurch kann die Lebensdauer der Flügelkreuze um das 5-fache gesteigert werden.

Nach so viel positiver Berichterstattung sei dem Verfasser mit dem Blick auf weitere Beispiele gestattet einen wesentlichen Beitrag zum Mühlenbau aus Deutschland zu erwähnen.

In den zwanziger Jahren, als die Zeit der Windmühlen bereits vorüber war, wurden von Prof. Betz in Göttingen die theoretischen Grundlagen der Strömungstechnik am Windmühlenflügel in der ausgezeichneten - noch heute gültigen - Schrift „Windenergie und ihre Ausnutzung durch Windmühlen“ definiert. Wie bereits erwähnt, haben diese Untersuchungen bestätigt, daß die Mühlenbauer mit den ihnen zur Verfügung stehenden Werkstoffen Holz und Schmiedeeisen rein empirisch die günstigste Flügelform entwickelt hatten. Etwa zeitgleich mit Prof. Betz hat der deutsche Major Bilau umfangreiche Untersuchungen des Windmühlenflügels im Windkanal durchgeführt und zwei gravierende Neuerungen geschaffen:

  1. eine mit neueren Werkstoffen mögliche günstigere Formgebung des Vorhecks, ähnlich dem Flugzeugflügel. Diese Konstruktion ist bekannt geworden unter dem Namen Ventikante.
  2. Die Schwenkmöglichkeit des Hinterhecks um eine Achse parallel zur Flügelrute. Durch diese Veränderungen haben sich wesentlich bessere Strömungsverhältnisse am Flügel und damit eine bessere Leistung ergeben. Mit dem Drehheck war es möglich geworden, die auftriebserzeugende Formgebung des Flügels zu unterbrechen und die Mühle bei jeder Windgeschwindigkeit auch ohne eine mechanische Bremse zum Stillstand zu bringen, ein enormer Fortschritt.

Hunderte von Windmühlen wurden auf dieses Flügelsystem erfolgreich umgestellt. Die letzte noch mit Bilauschen Ventikanten und Drehhecks ausgerüstete Mühle in Holland steht in Norg, und obwohl die Mühle nicht mehr gewerblich genutzt wird, schwärmt Müllermeister Schokker noch heute von der Zuverlässigkeit und den Vorteilen dieses Flügelsystems.

Die Bilauschen Flügel haben nur einen Nachteil, sie sind schwer und teuer. Viele der ursprünglich mit diesem Flügelsystem ausgestatteten Mühlen wurden - da sie heute nur noch Museumsmühlen sind auf die preiswerteste und älteste Ausführung mit Segelflügeln zurückrestauriert.

Trotzdem haben die Entwicklungen von Bilau gerade in Holland die deutlichsten Spuren hinterlassen. Eine strömungstechnisch günstigere und damit leistungssteigernde Verkleidung des Vorderhecks wurde und wird von holländischen Mühlenbauern weit öfter realisiert als in Deutschland. Ca. 25% der holländischen Mühlen sind mit einer der Bilauschen Ventikante vergleichbaren Verkleidung des Vorderhecks ausgerüstet.

31 holländische Mühlen nutzen das Prinzip des Drehhecks, jedoch in einer aerodynamisch einfacheren und damit preiswerteren Ausführung, bekannt geworden nach dem ursprünglichen Mühlenbauer unter dem Namen Ten Have Klappen. Neben der Theorie ist daher auch die praktische Erfahrung beim Bauen derartiger Flügel erhalten geblieben. Diese Erfahrung hat dazu geführt, daß in Bardowick bei Lüneburg für die Reaktivierung eines Windantriebes nach Jahrzehnten wieder eine Mühle mit Drehheck ausgerüstet wurde. Holländische Mühlenbauer haben 1994 erstmalig nach Deutschland ein neues Flügelkreuz mit Fockwieken und Ten Have Klappen geliefert und damit zu einer gelungenen Mühlenreaktivierung beigetragen.

 

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Der KleiekotzerEin Magazin des Mühlenförderverein Lüneburg e.V.